
Da ich oft nach dem Rhythmus in meiner Malerei gefragt wurde, beschloss ich meine Gedanken zu diesem Thema aufzuschreiben. Zuerst möchte ich betonen, dass Rhythmus nur eine von mehreren Eigenschaften der Malerei ist, mit denen ich mich beim Anbringen von Farbe auseinandersetze. Ein gelungenes Gemälde beinhaltet freilich noch andere Komponenten.

Was ist Rhythmus? Biologischer Rhythmus entsteht durch regelmäßig wiederkehrende Zustände und Veränderungen von Organismen; in der Poesie unterscheidet man im Rhythmus die Abfolge verschiedener Akzentmustern von der metrischen Konstanz der Versmaße; unter Sprechrhythmus versteht man die zeitliche Gliederung sprachlicher Rede; die durch die Folge unterschiedlicher Notenwerte bezeichneten Akzentmuster, die über dem Grundpuls liegen, ergeben den Rhythmus in der Musik. Und was ist Rhythmus in der Malerei?

Während meines Studiums an der Akademie der Bildenden Künste München suchte ich nach einer Polarität in der Malerei: ich wollte räumliche Darstellungen vermeiden und stattdessen eine Differenz wiedergeben, in der die Farbe auf der Fläche bleibt und dennoch eine visuelle Weite gewinnt. Um mich beim Experimentieren mit den Eigenschaften von Farben nicht zu verlieren, suchte ich nach einer Organisation der Fläche, die mir einen anschaulichen Einstieg und einen erkennbaren Abschluss beim Malen verschaffen sollte. So habe ich ein Grundmuster entwickelt, das die Fläche in gleichen Abständen durch zahlenmäßige Impulse wie z.B. 1/4 (Bild 1), 1/9, 1/16 (Bild 2), 1/25 oder 1/36 (Bild 3) teilt. Ein solches Metrum bestärkt nicht nur die Konzentration bei spontanen Entscheidungen zwischen entstehenden Ereignissen, sondern bewirkt auch den bewussten Umgang mit dem Tempo, in dem sich Farben auf Flächen anbringen lassen.

Parallel zu Einteilung der Fläche habe ich meine Gedanken auf das Procedere der Bewegung beim Malen konzentriert. Den Zeitpunkt, an dem die Farbe die Fläche berührt, fasse ich als eine Einheit auf, die sich zu rhythmischen Akzentuierungen z.B. 2,3,1, oder 1,1,2, oder 1,6 usw. zusammenfügt und dann dem Anbringen von Farbe eine Form gibt.
Um die Anwendung von Metrum und Rhythmus in meiner Malerei deutlicher darzustellen, schlage ich 3 Beispiele vor. Im Aquarell “Ohne Titel” (Bild 4) von 2009, habe ich mit 3 Primärfarben: Magenta (M), Cyan (C), Gelb (Y) und Weiss gemalt. Dabei habe ich Magenta (M) als eine vorherrschende Farbe gewählt und mir vorgenommen, sie nacheinander mit W, C, Y und mit WCY zusammen zu bringen. Um die Monotonie beim Anbringen von Farben zu vermeiden, habe ich mich zu dem rhythmischen Motiv 2,1,1,1 und dem Metrum 1/4 entschieden. Daraus entstanden 4 Farbfolgen, die mit MW, MC, MY, MYCW begannen:
MW-MW-MY-MYCW-MC
MC-MC-MCY-MY-MYCW
MY-MY-MYC-MC-MYCW
MYCW- MYCW-MYW-MCW

Beim Gemälde “Schwarze Milch” (Bild 5), habe ich das Metrum 1/9 und das rhythmische Motiv 1,2,3,2 eingesetzt.

In “Partytura” (Bild 6), habe ich ein polyrhythmisches Motiv mit zwei Ebenen von Metren versucht: das Metrum 1/9 mit dem Rhythmus 1,6 und das Metrum 1/4 mit dem Rhythmus 2,3,1.
Da die Malerei das Anbringen von Farbe mittels eines Werkzeugs auf eine Fläche ist, entsteht eine Bewegung im Nebeneinander des Raums und im Nacheinander der Zeit, die eine spezifische Physiognomie ergibt. Diese Bewegung zerlegt sich in wiederholende Akzentuierungen – und das ist ihr Rhythmus.