LAURA SÁNCHEZ SERRANO IM GESPRÄCH MIT OLEKSIY KOVAL

Oleksiy Koval, “Schar”, 2012, 55 x 50 cm, marker, packing tape on polyester. Photo © Klaus Mauz
Oleksiy Koval, ‘Schar’, 2012, 55 x 50 cm, marker, tape on FPY. Private collection, Starnberg. Photo © Klaus Mauz

Jede Oberfläche, jedes Material kann für Oleksiy Koval zur Herausforderung werden. Bewaffnet mit seinen Lieblingswerkzeugen, Farbe und Kreativität, kämpft Oleksiy Koval mit Oberflächen, die seine Aufmerksamkeit durch ihre Form, Textur, Struktur und Farbe auf sich ziehen. Seine Schlacht, die Malerei, entwickelt sich in einer Reihe von bedachten instinktiven Bewegungen, im Zeichnen rhythmischer Formen, in fast musikalischen Pinselstrichen auf seinem Gegner, der Leinwand.

Laura Sánchez Serrano: Erinnerst du dich, wann du zu malen angefangen hast?

Oleksiy Koval: Ich war 3 Jahre alt. Mein Vater ist Gestalter von Kinderbüchern; er arbeitete zu Hause und hatte immer Material und Farbe, die ich benutzen konnte.

LSS: Das heißt, du bist in Künstlerfamilie groß geworden?

OK: Nicht wirklich. Mein Vater ist Grafikdesigner und meine Mutter Architektin. Ich habe auch einen Onkel, der in der Oper singt, aber kein Mitglied der Familie hat mit bildender Kunst zu tun.

LSS: Du hattest deine erste künstlerische Ausbildung in Kiew. Aber du bist schon mit 19 Jahren nach München gekommen und seit dem lebst du hier. Warum bist du überhaupt nach München gekommen?

OK: Ich war neugierig, wie Kunst in Deutschland unterrichtet wird. Der Kunstunterricht in Kiew war ziemlich konservativ und ich wollte mehr über die zeitgenössische Kunst lernen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Lehrer in München ziemlich berühmt in der zeitgenössischen Kunstszene. Deswegen habe ich mich entschieden, hierher zu kommen. Außerdem war die Münchner Kunstakademie die einzige bekannte in Kiew.

LSS: Und dann bist du geblieben?

OK: Am Anfang dachte ich, ich würde nur ein paar Jahre bleiben und dann nach Kiew zurückkehren. Aber als ich nach Kiew zurück kam, merkte ich, dass es nicht mehr der Ort war, den ich verlassen hatte. Es war besser, in München zu bleiben um meine Künstlerlaufbahn fortzusetzen. München ist eine Stadt mit vielen Möglichkeiten und gut vernetzt. Von München aus ist es einfach, überallhin zu reisen. Außerdem hatte ich schon Freunde, Beziehungen, und meine Familie hier; also ich hatte keinen Grund in die Ukraine zurück zu gehen.

LSS: Welche Künstler haben deine Arbeit beeinflusst?

OK: Garry Kasparov, Valeriy Lobanovskiy, Segiy Paradzhanov, Andrey Tarkovskiy, Blinky Palermo, Robert Ryman, Steve Coleman, Medardo Rosso, Paul Cezanne, Piet Mondrian, Tizian…

LSS: Eine sonderbare Gruppe von Leuten. Interessanterweise sind die ersten beiden keine Künstler, sondern ein Schachspieler und ein Fussballtrainer. Wie haben sie deine Arbeit beeinflusst?

OK: Ich denke, es gibt eine Menge von Gemeinsamkeiten zwischen Schach, Fussball und Malerei. Alle von ihnen brauchen eine Fläche (ein Schachbrett, ein Fußballfeld, eine Leinwand), Elemente, die sich in einer rhythmischen Weise bewegen (Schachfiguren, Fußballspieler und Pinselstriche) und eine Strategie. Alle von ihnen haben das selbe Ziel: Gewinnen. Egal, ob das bedeutet, gegen einen Schachspieler zu gewinnen, eine Mannschaft, oder, im Falle der Malerei, gegen die Oberfläche.

LSS: Ist Malerei ein Spiel für dich?

OK: Meistens, die Malerei ist meine größte Leidenschaft. Aber ja, es ist wie ein Spiel: die Fläche ist mein Feind und mein Ziel ist, sie zu besiegen und den Kampf zu gewinnen.

LSS: Gibt es Regeln in diesem Kampf? Was ist dein Malprozess?

OK: Zuerst wähle ich eine Oberfläche, die meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Der Prozess beginnt mit dem Akt der Beobachtung. Ich beobachte stundenlang sorgfältig die Farben und die Fläche. Am Anfang entscheide ich über die Strategie, die auf Farbe, Material, Rhythmus, Bewegung oder Struktur beruht. Dann greife ich an. Das Ziel ist eine Balance zu finden zwischen Kontrolle und Improvisation, Freiheit und Wissen, Verständnis und Intuition. Das Endergebnis hängt von all diesen Faktoren ab. Wenn ich gewinne, wird ein Teil von mir auf der besiegten Fläche sein.

LSS: Die meisten deiner Arbeiten sind nach einem überlegten Schema erstellt. Eigentlich hast du eine Art visueller Partitur entwickelt, mittels derer du die Oberfläche in Zonen aufteilst, welche den Rhythmus und das Tempo deines Pinselstriches bestimmen. Ist das als Methode nicht zu restriktiv?

OK: Meine Methode ist nicht statisch. Ich kombiniere Struktur und Improvisation. Die Struktur erlaubt es mir, mehr Freiheit zu haben. Es ist eine Konstante, die Variablen enthält. Die Malerei ist wie das Leben, sie braucht Struktur. Wir haben Termine, Uhren; wir planen Treffen, so wie das hier heute. Aber was wir während dieser Treffen machen, kann spontan und kreativ sein. Dasselbe gilt für meine Methode. Ich habe einen Rahmen, der es mir ermöglicht, beim Malen unbehindert zu reagieren. Am Ende sind es spontane Reaktionen, die bestimmen, ob ich gegen die Fläche gewinne oder verliere.

LSS: Warum ist Rhythmus so wichtig in deiner Arbeit?

OK: Rhythmus ermöglicht es mir, Raum und Zeit zu kontrollieren. Manchmal fängst du an zu malen und nach einer Weile merkst du, dass du dich in der Malerei verloren hast. Ich erkannte, dass ich eine gewisse Struktur brauche, um das zu verhindern. Das rhythmische Gerüst, das ich mir vor dem Malen aufbaue, erlaubt mir, die Fläche zu malen, ohne mich selbst in dem Prozess zu verlieren. Rhythmus gibt meiner Malerei eine Struktur. Er hilft mir, mich nicht auf der Fläche zu verirren.

LSS: Du arbeitest mit vielen verschiedenen Materialien. Wie wählst du sie aus? Was sind deine Kriterien?

OK: Ich verwende die Materialien, die ich anziehend finde. Solche, die interessant und schön aussehen. Die Art und Weise sie zu finden ist ziemlich zufällig. Es kann ein Karton eines Pakets sein, das ich erhalten habe, das Holz, das ich in der Werkstatt eines Schreiners finde… Ich habe viel mit klassischen Materialien gearbeitet; aber ich mag es wirklich, mit neuen zu arbeiten und zu experimentieren. Zum Beispiel arbeitete ich in letzter Zeit mit Polyesterstoff, den ich im Atelier einer Modedesignerin gefunden habe. Ich liebe es, neue Materialien auszuprobieren. Es macht Spaß und ich denke, Spaß sollte ein wesentlicher Bestandteil der Malerei sein.

LSS: Welche Rolle spielt die Farbe in deiner Arbeit?

OK: Es ist eines der grundlegenden Elemente meiner Arbeit; zusammen mit Material und Rhythmus. Farbe ist die Essenz der Malerei. Malen heißt, Farben auf die Fläche zu bringen. Und das ist es, was mich an der Malerei fasziniert: die Farben auftragen, sie kombinieren, sie mischen und sehen, wie sie reagieren; die Wirkung, die sie auf der Oberfläche haben. Aber auch, wie wir sie wahrnehmen. Wenn ich male, bringe ich bewusst drei grundlegende Parameter auf die Fläche: Material, Farbe und Rhythmus.

LSS: 2010 hast du zusammen mit Stefan Schessl und Kuros Nekouian die Gruppe Rhythm Section gegründet. Was ist die Idee hinter diesem Projekt?

OK: Im Jahr 2005 traf ich Stefan Schessl in China bei einer Ausstellung, an der wir beide beteiligt waren. Wir sind Freunde geworden und diskutierten regelmäßig über den Rhythmus in unseren Werken. Kuros Nekouian trat etwas später in unsere Gespräche ein. Wir beschlossen, den Begriff des Rhythmus in der zeitgenössischen Kunst zu erforschen. Wir gründeten die Gruppe, die Künstler bei der Erforschung des Themas unterstützt. Künstler in der Gruppe tauschen untereinander Ideen aus, lernen von ihren Erfahrungen und organisieren Ausstellungen zusammen.

LSS: Wie viele Künstler sind Mitglieder der Gruppe?

OK: Mittlerweile besteht die Gruppe aus mehr als 25 Künstlern. Nicht nur Maler, sonder alle Arten von Künstlern. Wir erhalten ständig Beitrittsanfragen von Künstlern. In fast jeder Ausstellung laden wir neue Künstler ein. Wir wählen die Künstler auf Grund des Projektes, dem Land, in dem die Ausstellung stattfindet, etc. Alle Künstler, die Interesse haben, mit Rhythmus zu arbeiten, sind bei uns willkommen, solange ihre Arbeiten ins Konzept von Rhythm Section passen.

LSS: Im Jahr 2011 hast du eine andere Gruppe gegründet, The Beautiful Formula Collective. Wie ist diese Gruppe beschaffen?

OK: The Beautiful Formula Collective ist eine offene Gruppe, die zusammen an einzelnen Gemälden arbeitet, nach einer anfänglichen Formel: eine rhythmische Struktur, die dem Auftrag von Farben eine Form gibt. Im Gegensatz zu Rhythm Section geht es bei The Beautiful Formula Collective nur um Malerei und über das gemeinsame Erstellen von Werken. Wir verwenden ursprünglich Muster oder Strukturen, aufgrund derer Handlungszonen, Rhythmus und Tempo bestimmt sind. Jeder von uns malt nach den Regeln; aber jeder reagiert gleichzeitig auch auf das, was die anderen tun. Das Endergebnis ist genauso interessant wie der Prozess. Deshalb machen wir es oft in der Öffentlichkeit, als Performance; oder zusammen mit anderen Künstlern oder Studenten als Workshop.

LSS: In gewissem Sinne ist das eine Gruppenversion der Regeln, die du dir für deine eigene Arbeit gegeben hast. Dank The Beautiful Formula Collective bist du nicht mehr allein in deinem Kampf gegen die Fläche?

OK: Sicher, es ist eine Teamarbeit. Der interessanteste Teil dabei ist zu sehen, wie Künstler aus verschiedenen Ländern und Hintergründen (z. B. Traditionelle Malerei, Street Art, Grafikdesign) gemeinsam nach vorher bestimmten Regeln malen, um erstaunliche Ergebnisse zu erziehen.

LSS: Seit dem Du diese beiden Gruppen gegründet hast, hast du deine Arbeiten in vielen Gruppenausstellung in der ganzen Welt (Zürich, Singapur, Kiew, etc) gezeigt. Wo wird das nächste Projekt stattfinden?

OK: Wir haben viele Projekte in diesem Jahr. Am 9. und 10. Februar werde ich einen Workshop in Kiew an der School of Visual Communication organisieren. Im April haben wir drei Ausstellungen: eine in China, eine in Griechenland und eine in den Niederlanden. Es wird ein Jahr voller schöner Projekte.

LSS: Das klingt spannend. Viel Glück mit all deinen Projekten und Dankeschön dafür, mit uns einige Gedanken zu deiner Arbeit auszutauschen. Ich hoffe, du wirst weiterhin die Flächen besiegen!

Für das Katalog Die Fläche besiegen
München, Januar 2013

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