
(Ausgemalt von Jacques-Louis David, 1800)
Quelle Wikipedia
Obwohl ein Bild der langweiligste und ermüdendste Gegner der Malerei ist, verwechselt man allezeit die beiden Rivalen miteinander. Oder sind es vielleicht keine Rivalen in dem Wettstreit um den Ausdrucksformen?
Vielleicht gibt es keinen Unterschied zwischen Malerei – einem Gemälde – und einem Bild?
Im Sommer 2005 zeigte mir eine Studentin an der Kunsthochschule in Wuhan ein von ihr gemaltes Selbstporträt: eine kleine aufgespannte Leinwand auf der sie mit Ölfarben ihr Gesicht von einem Foto abgemalt hatte. Die Oberfläche der Leinwand war so perfekt behandelt, dass weder Pinselspuren noch der Farbduktus zu sehen waren. Die Oberfläche der Leinwand wirkte wie ein Bildschirm, der ein Mädchengesicht ausstrahlte.
Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Ich habe damals sehr viele solcher Abbildungen gesehen. Es war immer das gleiche, eine Art Masche. Die Abbildungen haben sich von einander nur technisch unterschieden: manche waren besser ab- und ausgemalt, manche schlechter.
Ich fragte die Studentin, ob sie sich auch selbst porträtiert hat, ohne vom Foto abzumalen. Das Mädchen wurde rot und scheu, zeigte ein Selbstporträt, das sie vor einem Spiegel gemalt hatte. Die Studentin war sehr unzufrieden mit ihrem Werk. Die Pinselstriche und der Farbduktus waren unregelmässig auf der Fläche verteilt. An manchen Stellen lagen mehrere Farbschichten übereinander, so dass kein klarer Farbton zu erkennen war. Die Farb- und Hell-Dunkel-Kontraste unterstützten weder das Motiv noch das Kolorit des Gemäldes. Die Nase und Augen waren weder symmetrisch noch an den richtigen Stellen im Gesicht platziert. Die Malerei erinnerte stark an den frühen Cézanne.
Es war schlechte Malerei, aber es war Malerei. Das erste Selbstporträt war ein Bild. Warum?
Nach jedem Sieg bestellte Napoleon Bonaparte ein Bild. Er diktierte das Thema, die Darstellung der Personen und schrieb sogar das Bildformat vor. Napoleon ahmte die anderen Könige nach und wollte als König nachgeahmt werden. Die Kunststudentin aus Wuhan ahmte mit ihrem perfekt ausgemaltem Selbstporträt die anderen Studenten nach und wollte nachgeahmt werden. Die Eltern, die Abbildungen von Ihren Kindern machen lassen, um diese auf dem Tisch aufzustellen oder im Geldbeutel mit sich zu tragen und bei Gelegenheit vorzuzeigen, ahmen die anderen Eltern nach und wollen nachgeahmt werden.

Hieratic Suprematist Cross (large cross in black over red on white), 1920-1921
Collection Stedelijk Museum Amsterdam
Quelle Wikipedia
Ausgangspunkt der mimetischen Theorie von René Girard ist die Feststellung, dass Nachahmung Rivalität, Neid und Eifersucht erzeugt. Sie ist ansteckend und führt zu raschen Gewalteskalationen, in denen das ursprüngliche nachgeahmte Objekt keine Rolle mehr spielt.
In einem umfassendem Ausstellungskatalog zum Thema Bilderkriege Iconoclash. Jenseits der Bilderkriege in Wissenschaft, Religion und Kunst von Bruno Latour und Peter Weibel bestätigt sich die Vermutung, dass das Bild, die Bildmacher und die Bildverbreiter für Gewaltausbrüche verantwortlich gemacht werden können. Man kann annehmen, dass Bilderverbote die Eskalation von Gewalt unterdrückt haben und weiterhin unterdrücken.
Ein Vergleich von Piet Mondrian und Kasimir Malewitsch illustriert prägnant den Unterschied zwischen Malerei und einem Bild. Beide Zeitgenossen haben die menschliche Sichtweise verändert: Malewitsch hat neue Bilder geliefert und Mondrian hat neu gemalt. Wenn Kasimir Malewitsch an der Verwirklichung neuer Vorstellungsbilder, Ikonen interessiert war, veränderte Piet Mondrian die Art und Weise zu malen. Der gebürtige Ukrainer hat seine Motive an-, be– oder ausgemalt, aber er hat nie gemalt. Dagegen entstanden beim holländischen Maler die Motive während des Malens.

Victory Boogie Woogie (1942–44)
Gemeentemuseum Den Haag
Quelle Wikipedia
Der Unterschied zwischen Malerei und einem Bild liegt im Ursprung und der Folge der Eigenschaften der Malerei und der Bilder.
Um ein Bild zu machen, braucht man ein Motiv, Material und einen Bildermacher.
Um Malerei, ein Gemälde zu schaffen, braucht man einen motivierten Maler und das nötige Material.
Daraus ist ersichtlich, dass ein Bildermacher ein Interpret eines narrativen Motivs ist, Malen dagegen ist das Motiv des Malers.
In der Buchregalszene des Films Melancholie von Lars von Trier tauscht Justine rabiat die Bilder von Kasimir Malewitsch durch die Bilder von Pieter Bruegel, dem Älteren, aus. Hätte Justine die Bilder von Malewitsch durch Malerei ausgetauscht, wäre sie vermutlich nicht in den depressiven Kreislauf zurückgefallen.
Oleksiy Koval
München, Juli 2017
Besonderen Dank an Prof. Bernhard Lypp, Henri Jacobs und Veronika Wenger für die Unterstützung bei der Realisierung dieses Textes
LARS VON TRIER
Melancholia (2011)
Bookshelf scene